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Anleihen / AIF, Finanzdienstleister, Fonds / ETF
Interview: Was nachhaltigen Anlegern die EU-Offenlegungsverordnung nützt
Seit März 2021 gilt die EU-Offenlegungsverordnung. Sie soll nachhaltige Geldanlagen transparenter machen, sorgt bislang bei Anbietern wie Anlegern aber eher für Verwirrung. Woran das liegt und wo noch nachgebessert werden sollte, erläutert Stefan Fritz von der GLS Bank-Tochter GLS Investments im ECOreporter-Interview.
Die EU-Offenlegungsverordnung schreibt im ersten Schritt vor, dass Anbieter von Finanzprodukten in öffentlich zugänglichen Dokumenten darlegen, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen. Außerdem müssen die Anbieter ihre Produkte in eine von drei Schubladen einsortieren: Sie sind entweder konventionell (nach Artikel 6 der Verordnung), berücksichtigen ökologische und soziale Kriterien (Artikel 8) oder streben ein konkretes Nachhaltigkeitsziel an (Artikel 9). Unter Artikel 9 sollen nach Vorstellung der EU dunkelgrüne Finanzprodukte fallen, unter anderem Impact-Fonds, unter Artikel 8 eher hellgrüne Produkte.
Weitere Hintergründe zur Offenlegungsverordnung finden Sie hier.
ECOreporter: Herr Fritz, was nützen Anlegerinnen und Anlegern die neuen Nachhaltigkeits-Dokumente, die sie auf den Websites der Fonds-Anbieter finden?
Stefan Fritz: Diese Dokumente werden auf zwei aufeinander aufbauenden Stufen veröffentlicht. Seit März 2021 sind Dokumente in der ersten Stufe veröffentlicht. Sie bieten qualitative Beschreibungen der Anlagepolitik. Das entspricht möglicherweise nicht direkt der Erwartungshaltung privater Anlegerinnen und Anleger. Für sie sind ja häufig die Fragen relevant: Investiert der Fonds in Waffen oder Kohle? Wird in nachhaltige Mobilität oder erneuerbare Energien investiert? Öffentliche Anlagekriterien, Berichte über investierte Unternehmen und Hilfsmittel wie ausgefüllte FNG-Nachhaltigkeitsprofile, wie wir und andere strenge Fondsanbieter sie bereitstellen, sind hier wahrscheinlich zielführender.
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Die nach den Vorgaben der Offenlegungsverordnung erstellten Dokumente haben also größere Schwächen.
In der ersten Stufe fehlen nicht selten präzisierende Angaben dazu, in welche nachhaltigen Branchen investiert wird und welche Geschäftsfelder und -praktiken ausgeschlossen sind, ob es Ausnahmen gibt usw. Die Dokumente in der zweiten Umsetzungsstufe werden ja erst ab Juli 2022 veröffentlicht. Das Template, das die EU dafür vorgelegt hat, ist ambitioniert. Die Umsetzung durch die Anbieter steht noch aus. Daher wäre ein jetziges Urteil verfrüht.
Die EU-Offenlegungsverordnung soll vor allem für mehr Transparenz sorgen. Ob die Finanzprodukte tatsächlich so nachhaltig sind, wie sie sich geben, muss bislang nicht belegt werden. Zudem sortieren die Anbieter ihre Produkte selbst nach Artikel 6, 8 oder 9 der Verordnung ein. Wie groß ist da die Gefahr von Greenwashing? Laut dem Analysehaus Morningstar haben sich beispielsweise 25 Prozent aller in Luxemburg ansässigen Fonds als nachhaltig nach Artikel 8 oder 9 eingestuft.

Stefan Fritz ist Spezialist für nachhaltige Investmentfonds bei der GLS Investment Management GmbH. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sustainable Finance-Regulatorik, Prozessmanagement und Fachkommunikation. / Foto: Unternehmen
Leider ist die Gefahr von Greenwashing nicht von der Hand zu weisen. Morningstar hat beispielsweise auch untersucht, inwieweit Artikel 8- und Artikel 9-Produkte in fossile Unternehmen investieren. Ergebnis: Mehr als 3.000 Fonds haben dies getan. Das ist Anlegerinnen und Anlegern nicht vermittelbar. Ebenso wird häufig suggeriert, dass Anlegerinnen und Anleger mit Artikel 9 eine sozial-ökologische Wirkung entfalten. Das ist wissenschaftlich sehr schwierig zu fundieren.
Wer könnte die tatsächliche Nachhaltigkeit der Fonds sinnvollerweise überprüfen?
Es wird künftig Aufgabe des jeweiligen Wirtschaftsprüfers sein, die Einhaltung der regulatorischen Vorgaben gemäß Offenlegungsverordnung zu prüfen. Besonders schwierig wird zu erheben sein, ob die Unternehmen, in die Fonds investieren, keinen Schaden zufügen, das so genannte „Do not Significant Harm“-Prinzip. Das wird noch vielen Fondsanbietern Kopfzerbrechen bereiten.
Wer sinnvollerweise die tatsächliche Nachhaltigkeit von Fonds überprüfen soll, ist schwer zu beantworten. Entscheidend ist, dass die prüfenden Organisationen und Menschen eine langjährige Erfahrung im Markt haben, unabhängig agieren, nicht nur schwarz-weiß, sondern auch in Grautönen denken. Sie sollten verstehen, dass zur Auflage besonders nachhaltiger Investmentfonds viele interne Ressourcen, eine hohe Glaubwürdigkeit, ausgefeilte Prozesse sowie auch ein reflektierter und transparenter Umgang mit der sozialen und ökologischen Wirkung von Finanzangeboten notwendig sind. Ein SDG-Scoring ist selten der Weisheit letzter Schluss bei Fonds (die SDGs sind die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen - Anm. d. Red.).
Ist direkte nachhaltige Wirkung nach Artikel 9 mit Aktienfonds überhaupt möglich? Wer Fondsanteile kauft, zahlt ja Geld an den letzten Besitzer dieser Anteile, nicht an die im Fonds vertretenen Unternehmen.
Das ist die Gretchenfrage bei Publikumsfonds. In der Branche wird dazu auch fleißig und kontrovers diskutiert. Wenn Sie von direktem, der Investition zuordenbarem Impact sprechen, dann ist dieser in der Tat sehr limitiert, aus technischen und rechtlichen Gründen. Sie können aber bei Kapitalerhöhungen vor allem kleinerer Unternehmen oder Anleiheemissionen das Geld direkt den Unternehmen zur Verfügung stellen, wie wir es bei unserem Aktienfonds und Klimafonds machen, sofern sich die Gelegenheit bietet. Daraus lässt sich eine direkte Wirkkette ableiten.
Schwierig ist es bei indirekten Wirkketten. Nehmen Sie das Thema Engagement: Sie sprechen mit Unternehmen über den zu hohen Einsatz von Palmöl. Ein Jahr später lesen Sie im Nachhaltigkeitsbericht, dass das Unternehmen weniger Palmöl nutzt. Ist das jetzt Ihr Verdienst als Investor? Gibt es vielleicht ein neues lokales Gesetz, das den Einsatz einschränkt? Ist das Unternehmen auf ein Ersatzprodukt umgestiegen? Oder ist schlicht der Absatz eingebrochen?
Kleine Unternehmen wie der Solarcontainer-Anbieter Africa GreenTech erzeugen oft hohen Impact, erhalten aber nicht entsprechende Ratings. / Foto: Africa GreenTech
Warum ist ein echter Impact-Fonds wie der GLS Mikrofinanzfonds nur nach Artikel 8 eingestuft? Mehr nachhaltige Wirkung als mit Mikrofinanz lässt sich im Fondsbereich kaum erzeugen.
Ich stimme Ihnen zu. Wir sehen ihn auch als echten Impact-Fonds. Doch die Offenlegungsverordnung richtet sich nicht nach den klassischen Impact-Marktstandards, sondern setzt eigene Anforderungen. Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir uns Anfang des Jahres sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Zum damaligen Zeitpunkt waren die konkreten technischen Anforderungen, die sich aus der Verordnung ergeben, nicht bekannt. Bis heute ist übrigens die Verordnung noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht, Änderungen sind immer noch möglich.
Wir haben uns daher zunächst für ein vorsichtiges Vorgehen entschieden, bis mehr Klarheit herrscht. Schließlich sehen wir es als Verpflichtung gegenüber unseren Anlegerinnen und Anlegern, besonnen regulatorische Vorgaben umzusetzen. Auch spielen haftungsrechtliche Fragen eine große Rolle.
Sehen Sie mittlerweile bessere Rahmenbedingungen für eine Einstufung des Fonds nach Artikel 9?
Derzeit diskutieren wir, inwieweit wir die damalige Einstufung anpassen möchten. Doch unverändert ist unklar, wie genau die regulatorischen Vorgaben zu erfüllen sind, insbesondere die Einhaltung der „Do not Significant Harm“-Indikatoren. Diese Vorgaben sind auf multinationale Konzerne ausgerichtet, nicht auf Nischenfonds wie unseren Mikrofinanzfonds, und passen daher nur bedingt.
Ein Beispiel: In der Verordnung steht, um als nachhaltige Investition zu gelten, müssen Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, beispielsweise durch Einhaltung der Steuervorschriften. Die Frage ist bei großen IT-Konzernen sehr relevant, es wird entsprechende Berichte und Daten geben. Bei lokal agierenden Mikrofinanzinstituten steht das Thema dagegen selten oben auf der Prioritätenliste. Hier müssen wir erst mal ein Bewusstsein schaffen, welche Daten wir künftig von den Instituten benötigen, damit wir die gesetzlichen Anforderungen erfüllen können. Wir gehen davon aus, in den kommenden Monaten ein klareres Bild zu haben, wie wir den Fonds auch gesetzlich gemäß unseren eigenen Ansprüchen verankern können.
Kann die EU-Offenlegungsverordnung besser zu einem nachhaltigeren Finanzwesen beitragen, wenn eines Tages klare Nachhaltigkeits-Definitionen der EU-Taxonomie vorliegen?
Das wäre zu wünschen. Es steht bekanntlich zu viel auf dem Spiel. Die Verordnung sollte und darf nicht aufgrund schlechter technischer Umsetzung scheitern. Doch ich befürchte, dass die Taxonomie hier nicht als Retter agieren wird. Denn im April veröffentlichte Rechtsakte geben verschiedene Wege vor, wie ein Fonds in der Anlageberatung als nachhaltig bezeichnet werden darf. Hier gibt es ein Nebeneinander von Taxonomie und Offenlegungsverordnung, keine Ablösung der einen durch die andere.
Was muss sonst noch besser werden, damit die Offenlegungsverordnung ihren gewünschten Zweck erfüllen kann?
Ich wünsche mir drei Dinge:
1) Bei der gesetzlichen Definition, was eine nachhaltige Investition ist, wünsche ich mir eine Anlehnung an etablierte Marktstandards, z.B. die GIIN-Definition zu Impact Investing, welche die Absicht und Messbarkeit der direkten Wirkung hervorhebt (GIIN ist das Global Impact Investing Network, ein internationaler Zusammenschluss von Impact-Investoren - Anm. d. Red.). Das würde die Relevanz direkter Wirkketten noch einmal hervorheben und die Sekundärmarktdiskussion, wie von Ihnen vorhin erwähnt, noch einmal in das richtige Licht rücken. Dann wäre ein Mikrofinanzfonds auch einfacher als wirkungsvoller einzustufen als ein Klima-ETF.
2) Unternehmen und Projekte mit hoher Wirkung sind häufig kleiner und haben demzufolge ein schwächeres Reporting. Aus unserer Sicht sind sie das Rückgrat der Wirtschaft und der Treiber für einen nachhaltigen Wandel. In Deutschland schafft der Mittelstand bekanntlich die meisten Arbeitsplätze. Weltweit stehen laut Weltbank kleine und mittlere Unternehmen für 90 Prozent der Unternehmen und mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze. Daher wünsche ich mir, dass der Gesetzgeber mit Augenmaß bei Reporting-Pflichten vorangeht, damit diese Unternehmen nicht bei Fondsanbietern durchs Raster fallen bzw. große Unternehmen strukturell bevorteilt werden.
3) Schließlich sollte die Sichtweise der Anleger stärker berücksichtigt werden. Die strengste Nachhaltigkeitskategorie wird nur dann von Anlegern, vor allem aus dem privaten Bereich, als glaubwürdig akzeptiert, wenn bestimmte Geschäftsaktivitäten komplett ausgeschlossen werden. Dem Privatanleger dürfen keine gemäß Gesetz sehr nachhaltigen Fonds angeboten werden, die in Unternehmen der Tabakindustrie, des Waffensektors oder der industriellen Lebensmittelerzeugung investieren. Wenn dies geschieht, dann ist die Glaubwürdigkeit dahin. Nichtregierungsorganisationen und Verbraucherzentralen würden – zu Recht – auf diese Missstände hinweisen. Alle Mühe wäre umsonst.
Herr Fritz, vielen Dank für Ihre Antworten!